Was heißt Frühförderung und naturwissenschaftliche Bildung im Kindergarten?
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Kinder entdecken sich selbst und die Welt
In einem Modellversuch des Landes Brandenburg wurde versucht, Erzieherinnen darin zu unterstützen, gemeinsam mit Kindern Wege des Entdeckens zu beschreiten. Folgende Prinzipien wurden dabei beachtet:
Das Bemühen der Kinder, eine Sache zu bewältigen, hat immer einen höheren Stellenwert als die Wertung des Ergebnisses ihrer Anstrengungen.
Es gibt weder falsche noch richtige Arbeitsweisen, Ergebnisse, Schlussfolgerungen, Ideen und Vorstellungen. Die Kinder liefern stets Argumente dafür, warum ihre Erkenntnisse mit ihren Beobachtungen übereinstimmen. Diese dürfen wir zunächst nicht in Zweifel ziehen, weil dadurch der Forschungsdrang und der Prozess der Korrektur und Erkenntniserweiterung unterbrochen oder gehemmt werden kann.
Was Kinder als Ergebnis ihrer Entdeckungen betrachten und argumentativ verteidigen, muss aufgegriffen werden. Vorteilhaft ist, die Vielfalt der individuellen Ergebnisse mit allen Kindern zu besprechen, damit sie selbst auf eventuelle Widersprüche stoßen und sich zugleich mit den Ideen und Ergebnissen anderer Kinder auseinandersetzen können.
Wenn die Kinder in einer anregenden Atmosphäre an Sachen und Ereignissen teilhaben können, die ihre Neugierde und die Fantasie anregen, dann werden sie auch Fragen stellen. Darüber hinaus sollten die Erzieherinnen die Neugierde durch kreative Fragen stimulieren. Kreative Fragen regen spontan das Nachdenken bei Kindern an oder provozieren Widerspruch. Als Beispiel sei hier eine kleine Auswahl vorgestellt:
Heute bewegen sich die Baumblätter so heftig. Ist das nicht sonderbar? Weiß jemand, woher das kommt?
Der Schnee ist immer trocken, nur das Wasser ist nass.
Bienen können summen. Wie machen sie das bloß? Können Schmetterlinge auch summen?
Schau, ich habe meinen rechten Fuß auf den Roller gestellt. Doch der Roller bewegt sich gar nicht. Was muss ich machen?
Max sagt, er kann auch im Dunkeln sehen.
Haben alle Kinder die gleiche Schuhgröße?
Kann man eine Ente als Haustier halten?
Wird das kalte Wasser von sich aus warm? Und bleibt das warme Wasser immer warm?
Haben alle Schnecken Häuser?
Können wir auch so nass werden wie unsere Kleider?
Das sinnvolle Curriculum ist der Alltag der Kinder und die Bewusstwerdung der Außenwelt. Alles kann dabei aufregend sein. Hier einige Beispiele:
Thema: Warm und kalt, die Jahreszeiten- Warum haben wir im Winter und Sommer nicht die gleichen Kleider an?
Thema: Wachstumsbedingungen der Pflanzen: Wächst der Löwenzahn auch im Wald und auch im Winter?
Thema: Vergleichen, evaluieren: Wer kann zwei ganz gleiche (identische) Baumblätter finden?
Thema: Klimazonen, fremde Völker: Könnten Eskimos auch in Afrika leben?
Thema: Eigener Körper, Unterschiede zwischen Mensch und Tier: Haben Tiere auch Milchzähne? Sind die Augenpupillen bei allen Menschen gleich groß?
Thema: Die Sinne: Wie kann man mit geschlossenen Augen zwischen einer Orange und einem Apfel unterscheiden?
Thema: Vergleichen, messen, basteln, Materialeigenschaften untersuchen: Wie sieht ein Rotkehlchennest, ein Storchennest aus? Wir basteln ein Vogelnest. Was braucht man dafür?
Thema: Geometrische Formen, Mengen schätzen: Wir bilden mit unserem Körper einen Kreis, ein Viereck und ein Dreieck. Brauchen wir immer gleich viele Kinder dazu?
Thema: Malen, Grundfarben: Wer schafft es, aus drei Farben fünf verschiedene Farben zu machen?
Thema: Untersuchen, Ähnlichkeiten und Unterschiede kennenlernen: Kann man das Wasser, das Brot, die Luft, den Sand, die Steine hören, fühlen, riechen, schneiden, gießen, umfüllen oder verpacken und schütteln?
Thema: Backen und Kochen, Stoffveränderungen beobachten: Wie macht man aus Getreide Brot, aus Milch Butter und Eiscreme?
Die oben beispielhaft skizzierten Fragen könnten den Erzieherinnen helfen, unter anderem folgende Aspekte besser zu realisieren:
Wie kann ich Kinderfragen aufspüren?
Wie kann ich die Aufmerksamkeit der Kinder auf einen Sachverhalt, ein Ereignis lenken, um ein Forschungsvorhaben zu initiieren?
Welche Art von Fragen stimuliert die Kinder, selbst Fragen zu stellen?
Wie soll ich mich verhalten, wenn ich eine Kinderfrage nicht beantworten kann?
Wie kann ich mich zugunsten des Dialogs mit den Kindern zurücknehmen?
Wie kann ich Kinder zu strukturiertem Handeln anleiten?
Wie kann ich Kindern helfen, gezielt zu beobachten?
Wie kann ich die Sachkompetenz der Kinder fördern?
Wie erkenne ich den Unterschied zwischen dem, was ein Kind zu einer Sache oder einem Bild sagt, und dem, was es tatsächlich damit meint?
Auch in Fragen der Frühbildung gibt es keine allgemein gültigen Rezepte. Von grundlegender Bedeutung ist jedoch, dass wir jedem Kind als einer einzigartigen Persönlichkeit begegnen und ein unerschütterliches Vertrauen darin entwickeln, dass es selbstständig heranreifen wird, wenn wir all jene Anlagen fördern, die in jedem Individuum ohnehin angelegt sind.
Ich schließe meine Ausführungen mit einem Zitat von Martin Wagenschein:
„Hier (6) stand ich nicht mehr vor Klassen von Schülern: Ich sah mich von Kindern umgeben. Kinder sind ja etwas anderes als Schüler. Wenn sie Kinder bleiben dürfen, dann wollen sie lernen.”
Vielleicht gelingt es uns gemeinsam, daran zu arbeiten, dass Kinder Kinder bleiben dürfen, solange sie es wollen.
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