„Hört auf mit der Lüge und dem Selbstbetrug“
Teil 2
SPIEGEL ONLINE: Wie sollte der Beitrag eines Kongresses zur Aufklärung aussehen?
Ansari: Er kann jedenfalls nicht darin liegen, dass die wichtigsten pädagogischen Reformer ein Jahr nach der Enthüllung des Missbrauchs über Theater und Kochen parlieren. So ist es in Bregenz geplant. Ich halte das für zynisch.
SPIEGEL ONLINE: Was sollten die Veranstalter stattdessen tun?
Ansari: Reinhard Kahl hat ein großes Netzwerk, er ist ein Mann des Wortes. Er könnte das Schweigen der Gelehrten brechen. Er könnte in Bregenz Workshops mit Betroffenen abhalten. Er weiß seit mindestens zehn Jahren von dem Missbrauch durch Becker - und hat stets geschwiegen. Zur Premiere seines Films "Kinder" hat er 2007 geduldet, dass der Kinderschänder Becker herumlief. Wer so etwas tut, der hilft das Tabu, über sexuellen Missbrauch zu sprechen, wieder zu errichten.
SPIEGEL ONLINE: Das sind heftige Vorwürfe.
Ansari:Im Odenwald sind grässliche Dinge geschehen - aber anstatt das mit klaren Worten zu benennen, wird in Bregenz dieselbe Poetisierung pädagogischer Begriffe gepflegt, die Becker so geliebt hat. "Theater träumt Schule", heißt es da. Warum diese Überhöhung? Kann Schule nicht einfach Theater machen? Aber so ist die Reformpädagogik: Sie fühlte sich immer als das bessere Deutschland und die bessere Pädagogik. Nur kann sie jenseits schöner Worte gar nicht definieren, worin ihre Pädagogik konkret besteht.
SPIEGEL ONLINE: Sprechen Sie der Reformpädagogik ihre Bedeutung ab?
Ansari: Sie war wichtig, als in Deutschland Schulen noch wie Kadettenstalten geführt wurden. Heute ist das anders, heute muss sie Konzepte vorweisen, wie das Lernen des 21. Jahrhunderts gelingen kann. Und vor allem: Wie man Kindern hilft, die in Not geraten. Denn das ist die Mission jeder guten Pädagogik. Wie sie dann heißt, ist völlig egal.
Das Interview führte Christian Füller