Die Belehrungsspiele aus dem Haus der kleinen Forscher
Das Bildungsministerium hat auf die Kindergartenkinder abgesehen. Da Kinder selber darüber nicht entscheiden können, welche Lernaktivitäten und Lernumgebung für Ihre emotionale und geistige Entwicklung förderlich sind, sieht sich das Ministerium in die Pflicht genommen, den Kleinen mit eigenwilligen Initiativen unter die Arme zu greifen.
Seit über zehn Jahren stellt sie dem Haus der kleinen Forscher Millionenbeträge für diesen Zweck zur Verfügung. Neuerdings möchte das Ministerium in Zusammenarbeit mit Microsoft alle Kitas der Republik mit den Tablets bereichert sehen. Als Argument für dieses „Bildungsvorhabens“ wird der Umgang mit Medien als eine Art Überlebenstraining in der omnipotenten digitalen Welt von heute und morgen hervorgehoben. Die Vorgehensweise dabei ist vergleichbar mit der Praxis eines Arztes, der seinen Patienten Therapien verordnet, ohne eine vorausgehende Anamnese.
Eigentlich könnte man Seiten darüber schreiben, welche eklatanten, didaktischen und sachlichen Fehler hier ins Auge springen. Dies zu beschreiben erspare ich mir, zumal auch die anderen Angebote dem vorgestellten in Nichts nachstehen. Schaut man genau die medialen Spielangebote des H.d.k.F. aufmerksam an, dann kann man getrost allen Kindern der Grundschule davon abraten, sich von ihnen in die Irre führen zu lassen. Sie widerspiegeln den Versuch der Erwachsenen wider, ihre Weltsicht in die Gehirne der Heranwachsenden zu implementieren. Kinder sollen sich die Welt aneignen, haben jedoch nicht die geringste Möglichkeit, sich eigenständig und vor dem Hintergrund ihres bereits vorhandenen Wissens in das mediale Geschehen einzubringen. Hier wird das kreative Vermögen der Jugendlichen missachtet. Man kann es nur hoffen, dass Pädagogen derartige Interventionen nicht in ihrer Unterrichtspraxis integrieren, nicht der Versuchung nachgeben, die Vorgänge des Lehrens außerhalb der Erfahrungswelt der Jugendlichen zu verorten.
Das hier später beispielhaft vorgestellte Spiel, Wiebkes Waage, ist ein Beleg dafür, wie das implizite Wissen der Jugendlichen durch den Überrumpelungsversuch der digitalen Apologeten ausgeblendet wird. Jedes Kind, das sich einmal auf einer Wippe einem anderen Kind gegenüber platziert hat, weißt implizit, wie es sich verhalten muss, um das Gleichgewicht zu erlangen. Doch solche Erfahrungen sind der Pädagogik der Stiftung bedeutungslos. Dies zeigen auch alle anderen Bemühungen der Stiftung, Kindern Phänomene der Natur näher zu bringen. Nicht die unmittelbar erlebbare Wirklichkeit der Phänomene ist Gegenstand des Staunens, sondern Hokuspokus der Laborexperimente. Nicht die Sinneswahrnehmung ist das Hilfsmittel der Erkundungen der Welt, sondern Gerätschaften wie beispielsweise Pipette, Reagenzglas und Lupe. Nicht der Alltag ist der Gegenstand der Betrachtungen und Fragestellungen, sondern das schauen in die Retorte. Omnipotent ist das konstruierte „Experiment der Woche“ und nicht die Bilder der Natur. Nicht der Prozess der Erkenntnisgewinnung ist gefragt, sondern Unterhaltung.
Kinder und Jugendliche werden später die Techniker von Zukunft sein, wenn man sie heute mit dem weißem Kittel und Schutzbrille ausstattet. Das ist die Apodiktik der Stiftung. Die neuesten PISA Erhebungen zeigen, dass man mit solch einem Eifer das Gegenteil bewirkt. Die fünfzehnjährigen erzielen zwar bessere Ergebnisse in den naturwissenschaftlichen Fächern, doch zugleich möchten sie später nicht einen technikorientierten Beruf ergreifen. Nicht die mangelhafte Faszination für Naturphänomene ist dafür ursächlich verantwortlich, sondern vielmehr die Didaktik der Vermittlung von naturwissenschaftlichen Sachverhalten. Haus der kleinen Forscher ist ein nachvollziehbares Beispiel dafür.
Solch ein Lernen reduziert lediglich sich auf Aktionismus.
Diese Angebote sind bestens dafür geeignet, die Bildung von Fehlkonzepten zu unterstützen. Es wird deutlich, dass die Stiftung, die mannigfaltigen Erfahrungsmöglichkeiten der Kinder missachtet, und sie nicht als individuelle Persönlichkeiten zu respektieren vermag.
Hier werden Kinder als phantasielose Objekte betrachtet, die ohnehin nicht in der Lage sind, selbständig zu handeln und zu denken. Man kann ihnen wahllos und willkürlich etwas Digitales vorsetzen. Das Medium alleine würde sie anlocken und anregen. Das folgende möge dies exemplarisch erläutern: http://www.meine-forscherwelt.de/intro/start.html#/spielen-und-wissen/
Bei Wiebkes Waage sollen die Kinder die Wirkungsweise der Hebelgesetze erfassen und ausgehend davon Lernen, wie man das Gewicht eines Objektes bestimmen kann. Es wird vorausgesetzt, dass Kinder bereits viel über Konzepte wie beispielsweise Masse, Gewicht, Hebel wissen. Ebenso ist es für sie kein Problem, eine Waage zu bauen bestehend aus einem massivem Holzbrett und einem runden Holzbrocken. Man erfährt nicht, wie Kinder überhaupt auf die Idee kommen, einzig diese Materialien für den Aufbau einer Wippe als unverzichtbar zu erachten. Alles ist bekannt, ohne Umwege und Irrtümer. Irgendwie wissen die beteiligen Figuren genau, wie man zum Ziel kommt. Ihr explizites Wissen ist atemberaubend. Ihre Sprache und Stimmen klingen als kämen sie aus einer anderen Welt. Ich habe noch nie ein Kind erlebt, das sich so artikuliert, wie die Stimmen in diesem blutleeren Belehrungsstück.
Kinder können in der Regel zwischen Masse und Gewicht nicht unterscheiden. Sehen sie ein Objekt, wie beispielsweise ein langes, dickes Holzbrett, dann würden sie es als schwer bezeichnen. Auf einem Bild sieht man das Holzbrett ruhend auf dem runden Holzscheit. An einem Ende des Brettes sitzt der Kater und auf der anderen ein kleiner Vogel. Die Entfernung vom Mittelpunkt ist fast gleich. Das Brett ist dennoch nahezu waagerecht. Fliegt der Vogel hoch, neigt sich das Brett auf der Katerseite nach unten. Man staunt darüber, wie ein kleiner, federleichter Vogel all dies bewirken kann. Frage ich 3-5 jährige Kinder und Grundschüler, wie sie das Gewicht des Holzbrettes auf dem Bild schätzen, dann bekomme ich stets „schwer“ als Antwort. Mit Verwunderung sehen sie, wie selbst der kleine Vogel die Höhe des Holzbrettes verändern kann. Ebenso staunt man darüber, wie eine kleine Katze zusammen mit ihrem Katzenfutter es erreichen kann, ihre Besitzerin auf der andren Seite des Brettes hochzuheben. Die optischen Dimensionen scheinen den Machern irrelevant zu sein.
(Quelle: http://www.meine-forscherwelt.de/module/play.html?gameid=21)
In einem weiteren Bild sehen wir eine Balkenwaage. Eine Schale der Wage ist leer und die andere ist mit eine Ente bestückt. Mit dem Bewegen eines Gewichtes von I kg, eine andere Option ist nicht möglich, soll die leere Schale beschwert werden. Schafft man das, steht die Waage im Gleichgewicht. Enten wiegen also immer ein Kilogramm. Alles verstanden?!
Wie man mit Kindern ein Konzept für Gewicht und Wiegen bereits für Kindergartenkinder entwickeln kann, ohne Kinder zu überrumpeln, zeigt der Bericht von Herrn Bast.
Links:
- What does PISA tell us about inquiry learning in science? by Greg Ashman
- Inquiry-Based Instruction and PISA by Robert Rothman
- Inquiry learning is not the solution by Greg Ashman
- PISA shows that you can’t always get what you want by Greg Ashman
- The media’s myopia on PISA by Greg Ashman