Salman Ansari Menschen · Natur · Leben · Literatur · Musik

17Nov./11Off

Naturerfahrung ist nicht Naturwissenschaft

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Über die Gegenläufigkeit des pädagogischen Ansatzes vom „Haus der kleinen Forscher“

Quelle: SinnStiftung

Die Natur ist ein Netzwerk von unbegreiflicher Dimension. Das Merkmal dieses Netzwerkes zeichnet sich durch die wechselseitige Abhängigkeit aus, und diese Abhängigkeit manifestiert sich in unzählbaren Mustern.
Die Natur ist viel zu komplex, um sie zu verstehen. Was wir von ihr zu wissen glauben, sind lediglich unsere Interpretation, unsere Übersetzungen der Vorgänge der Natur, und diese bleiben fragmentarisch. Da wir selber ein Teil der Natur sind, können wir die Natur in ihrer Ganzheit nicht verstehen. Es ist also eine Illusion zu meinen, dass unser Wissen über die Natur die Natur selber darstellt. Für viele Naturforscher waren die Ehrfurcht vor der Natur und das Erstaunen über ihre Rätselhaftigkeit der Ausgangpunkt, um Fragen an sie zu stellen. Die intensive Beschäftigung mit den sinnlich wahrnehmbaren Erscheinungsbildern der Natur offenbarte ihnen einige Aspekte der Naturphänomene - und nicht mehr. Denn auch unsere Sinneswahrnehmung ist begrenzt. Daran hat sich, trotz aller technischen Errungenschaften, bis heute nichts geändert.
Dies muss uns stets bewusst sein, wenn wir über die Natur sprechen. Denn nur so gewinnen wir eine innere Haltung, die uns befähigt, die wahrnehmbaren Naturphänomene als einen winzigen Teil eines Ganzen zu akzeptieren. Für uns Pädagogen ist diese Haltung auch deshalb von Bedeutung, weil sie uns herausfordert, Kinder als Wissende zu respektieren und somit ihren Erfahrungshintergrund als das Fundament zu erachten, auf dem man Wege der Erkenntnisgewinnung beschreiten kann. Diese Haltung bewahrt uns auch davor, den Kindern unsere in Form von einer Reihe von experimentellen Beweisen zu vermitteln, die man nicht in Frage stellen darf. spricht in diesem Zusammenhang von einer „Überrumpelungspädagogik“. Naturerfahrung ist eben nicht Naturwissenschaft. Ein Experiment ist eine Manipulation der Natur.
Leider wird von vielen Stiftungen, die mit großen Summen auch von der Bundesregierung unterstützt werden, ich nenne als Beispiel „Das Haus der kleinen Forscher“, nachdrücklich die Illusion verbreitet, Bildung sei die Reduktion der Wirklichkeit, Erfahrung sei, in die Retorte blicken, Verstehen sei erst durch Spaßhaben möglich. Es wird die Illusion hochgehalten, dass Kinder, die sich mit desperaten Experimenten beschäftigen, später große Forscher im Dienste der technischen Entwicklung sein werden. Für diese Vermutung gibt es jedoch keine Grundlage. Es ist keine empirische Erhebung bekannt, die erkennen ließe, dass die Gehirne dieser sogenannten „kleinen Forscher“ besser als andere vernetzt sind, um mit den Herausforderungen der technisierten Welt fertig zu werden. Man muss eher das Gegenteil befürchten.
Dazu ein Erlebnis in einer Grundschule. Ich wollte mit den Kindern einer ersten Klasse der Frage nachgehen, ob Luft „stehen“ könne. Sofort meldeten sich drei Kinder und teilten mir mit, sie hätten viele Experimente über die Luft gemacht und möchten nun etwas anderes beginnen. Auch die anderen Kinder ließen durchblicken, dass sie sich bei dem Thema Luft langweilen würden, sie wüssten schon alles über die Luft. Es stellte sich heraus, dass diese Kinder eine Kita besucht hatten, die - orientiert am Konzept vom „Haus der kleinen Forscher“ - mit diesen Kindern bereits das Thema Luft „erledigt“ hatte.

Ich blieb jedoch bei dem Thema und wollte nun zusammen mit den Kindern herausfinden, was man unter dem Ausspruch, „die Luft steht“, verstehen könne. Doch sie wollten nicht mitmachen Über die gleiche Fragestellung hatte ich an einer anderen Schule, die nicht einmal die Einrichtung „Haus der kleinen Forscher“ kannte, mit den Kindern sehr lange einen Dialog führen können. Diese Kinder erwarteten auch nicht von mir, dass ich irgendwelche Geräte auspackte und sie in die Zauberwelt des Experimentierens führte. Im Verlauf des Gesprächs meinte ein Kind: „Wenn sich die Blätter draußen nicht bewegen, dann steht die Luft“. Meine Bemerkung, dass selbst, wenn sich kein Blatt bewegte, die Luft sich vielleicht doch bewegt, aber so schwach, dass sie nichts in Bewegung versetzen könne, fanden die Kinder komisch.

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