Naturerfahrung ist nicht Naturwissenschaft
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Pädagogisches Programm
Das pädagogische Programm der Stiftung kommt mir wie eine gigantische Verwechselung der Kategorien Unterhaltung und Wissenserwerb vor. Das wird auch daraus ersichtlich, dass keinerlei Vernetzungen zwischen den einzelnen Experimenten möglich sind. Lernen ist demnach der Beliebigkeit überantwortet. Befremdlich auch die Tatsache, dass sowohl beide Programme „Natur-Wissen schaffen“ und „Haus der kleinen Forscher“ sich auf die Kategorie Co-Konstruktion berufen. Jeder kann sich an Hand der Publikationen der obigen Programme überzeugen, dass dies definitiv nicht zutrifft. Denn die von Erziehern und Kindern gemeinsam erarbeiteten neuen Konzepte (Co-Konstruktion), setzen eine geistige Haltung voraus, die Kinder auf derselben Augenhöhe wahrzunehmen vermag, ihnen ein eigenständiges Denken zutraut und Vertrauen darin besitzt, dass man gemeinsam mit ihnen neue Aspekte der Wirklichkeit entdecken kann. Das ist jedoch nur dann realisierbar, wenn Kinder und Erwachsene überhaupt erst auf eine Frage oder Problemstellung stoßen, die sie bedrängt. Im Kontext des naturwissenschaftlichen Arbeitens muss man ja zuerst mal auf den Gedanken kommen, dass sich die jeweils bedrängende Frage oder Hypothese vielleicht mit Hilfe eines Experiments untersuchen ließe. Im nächsten Schritt bestimmt man dann konsequenterweise die Rahmenbedingungen und das Design des Experiments. Dies ist jedoch bei keiner einzigen Aktivität der Programme auch nur ansatzweise realisierbar. Verwunderlich auch, dass nahezu alle Experimente im Angebot der Stiftung seit Jahren in einschlägigen Schulbüchern und diversen Labormanualen beschrieben sind, und dennoch werden sie so angeboten, als hätte die Stiftung diese eigenständig entwickelt.
Zur Veranschaulichung des oben Gesagten möchte ich ein Experiment, das die Stiftung „Haus der Kleinen Forscher“ zum Thema „Luft“ anbietet, vorstellen:
Ein kastenförmiges Gefäß mit einer kleinen Öffnung steht auf einem Tisch. Vor der Öffnung des Kastens befindet sich ein Tischtennisball. Schlägt man mit beiden Händen auf die Seitenwände des Gefäßes, dann fliegt der Tischtennisball weg. Mit diesem Versuch sollen die Kinder erkennen, dass Luft überall ist, also auch im Kasten.
Ich habe dieses Experiment in einer Kita wiederholt, und kein Kind konnte mir sagen, weshalb der Tischtennisball bewegt wird. Alle waren der Meinung, dass durch das Schlagen gegen die Gefäßwände der Ball wegfliegt. Alle Kinder wollten immer wieder gegen den Papierkasten schlagen. Offensichtlich waren sie von dem erzielten Effekt fasziniert.
Es ist nicht verwunderlich, dass Kinder, ja, selbst Schüler der zehnten Klasse nicht, das Experiment nicht interpretieren können, weil die physikalischen Vorgänge, die hierbei ursächlich wirken, zu kompliziert sind. Beim Zusammenschlagen des Kastens verringert sich das Volumen, der Luftdruck im Kasten steigt. Damit der Druck nun dem atmosphärischen Druck entspricht, geht ein Teil der Luft aus dem Kasten hinaus und bewegt somit den Tischtennisball. Der Kasten erhält wieder sein ursprüngliches Volumen, weil Luft wieder einströmt, damit Druckausgleich herrscht.
Man fragt sich, ob die Stiftung ein geheimes Rezept besitzt, um den „kleinen Forschern“ solche Zusammenhänge sichtbar zu machen. Tag für Tag erfahre ich, wie ärmlich viele Kindertagesstätten ausgestattet sind, wie begrenzt ihre Mittel sind, um den Bedürfnissen der Kinder gerecht zu werden. Anderseits dürfen viele Stiftungen hohe Summen ausgeben, um eine höchst fragwürdige Pädagogik der Früherziehung zu betreiben.
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