Wozu experimentieren, wozu die Reduktion der Wirklichkeit?
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Ein weiteres Beispiel:Das umgekehrte Wasserglas
Ein Trinkglas wird vorgezeigt und die Kinder gefragt: Ist das Glas leer? Da Kinder mit einem Glas Flüssigkeiten assoziieren, sagen sie Folgendes: Es ist nichts zu trin-ken darin, es ist sauber, also leer, u. ä. Auch auf Nachfrage, ob Luft im Glas ist, bleiben die Kinder verschiedener Meinung. Dann wird folgender Versuch gemacht: In ein Glas wird Papier oder Watte so hineingestopft, so dass sie nicht herausfallen können. Das Glas wird dann umgekehrt in ein Becken mit Wasser gedrückt, das Papier / der Wattebausch bleibt trocken. Der Versuch soll zeigen, dass Luft überall ist. d.h.: Ein Einzelversuch mit spezieller Anordnung soll einen generellen Sachverhalt begründen! Dies ist ein typisches Beispiel für die Reduktion der Wirklichkeit durch Versuche, die etwas Allgemeines, Grundsätzliches zu begründen ver-suchen.
Wie deuten Kinder das Phänomen? Erkennen sie nun, dass Luft überall ist? Werden die Kinder, die etwas Anderes vermuten, überzeugt? Einige werden überzeugt, andere erleben den Versuch wie Zauberei. Die Kinder, die schon davon überzeugt waren, dass Luft im Glas ist, sagen z. B. als Erklärung: Die Luft im Glas ist so stark, dass das Papier nicht nass wird. Die Kinder können nicht erkennen, dass der Luftdruck außen und im Glas der gleiche ist.
Der Versuch ist zwar eindrucksvoll, aber für die Erfahrung des Aspekts „Luft ist überall“ brau-hen wir ihn nicht. Er erscheint vielen Kindern wie Zauberei, der Aspekt „Luft ist überall“ lässt sich aber auch ohne solche „Zaubereien“ erkennen. Herr Ansari zeigte hierzu einen Film, der seine Alternative dokumentiert:
Filmbeispiel:
Zunächst geht Herr Ansari davon aus, dass Kinder wissen, was Luft ist, da sie sie bereits tausendfach erfahren haben: An Luftballons, am Wind, am Pusten usw. Die Frage, ob sie auch überall ist, geht zunächst über diese Erfahrung hinaus. Dies zeigt, dass sich die Kinder nicht sicher sind, ob das vorgezeigte Trinkglas leer ist oder nicht, bzw. ob Luft darin ist oder nicht. Herr Ansari erweitert die Frage auf eine leere vorgezeigte Flasche. Entscheidend ist jetzt der Impuls von Ansari: „Wie können wir überprüfen, ob im Glas oder in der Flasche Luft ist?“ Er gibt also keinen Versuch vor, sondern lässt die Kinder überlegen, wie man mit Hilfe eines Versuches zu einer Entscheidung kommen kann. Die Kinder kommen selbst auf die Idee, dass man das Glas oder die Flasche unter Wasser halten könnte, um zu sehen, ob Luft daraus blubbert. Das Experiment zeigt: Ja, Luft geht ´raus, dafür geht Wasser ´rein.
Hier kann man also Luft „sehen“! Weiterführung: Kann man sie auch hören und fühlen? Die Kinder schlagen vor: Mit einem Teller Wind machen (fühlen), einen Luftballon zum Platzen bringen (hören), Luft eines Luftballons unter Wasser herauslassen (sehen) usw.
Fazit
Es geht darum, die Hinnahme von Erklärungen / Deutungen der Erwachsenen zu vermeiden, da sie Wissenswertes aus zweiter Hand darstellt. Es kommt darauf an, die Kinder zum eigenen Denken zu bringen. Dies gelingt bei Ansari dadurch, dass er ihnen kindgemäße Fragen stellt oder Fragen der Kinder aufgreift oder fragenträchtige Situationen zeigt, die es zu klären gilt. Die Klärung kann oft – aber nicht grundsätzlich, nicht immer – über Experimente erfolgen, die von den Kindern entworfen werden. Die Kinder verstehen die neue zu klärende Situation, indem sie ihre vorhandenen Erfahrungen aktivieren und erweitern. Lernen ist so gesehen ein Prozess des Erfindens und Gestaltens.
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