Salman Ansari Menschen · Natur · Leben · Literatur · Musik

17Nov/11Off

Wozu experimentieren, wozu die Reduktion der Wirklichkeit?

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Diskussion II

Frage: Ihre Kritik am Anfang an den Versuchen für Kinder mit den typischen Deutungen der Erwachsenen finde ich gut. Sie haben später dann eigene Versuche gezeigt, die sich sorgfältig entlang tasten an dem Erkenntnisstand der Kinder. Lässt sich Ihre Vorgehensweise auf eine allgemeinere Form bringen?

Ansari: Das Experiment darf nicht am Anfang stehen. Ausgangspunkt für die Erkenntnisgewinnung ist eine Frage, die z.B. im Rahmen einer Geschichte oder Erfahrung auftaucht. Diese Frage führt zu Diskussionen und Überlegungen, die dann wiederum zu einem Experiment führen bzw. führen können. Ob das Experiment dann die Frage beantwortet bzw. überhaupt beantworten kann, ist nicht immer sicher.
Ein Beispiel: Die Frage: „Wovon lebt ein Baum?“ ist uralt und wurde schon von Aristoteles gestellt. Für ihn war klar: Von der Erde. Erst im Mittelalter wurde gefragt: Ist das richtig? Zu Beginn des achtzehnten Jahrhunderts hat dann ein Forscher aus Holland dies folgendermaßen versucht zu überprüfen: Ein kleiner Baum in einem Bottich wurde 5 Jahre lang mit Wasser begossen und groß gezogen. Vorher und nachher wurde sorgfältig die Erde gewogen. Es stellte sich heraus, dass die Erde nicht weniger geworden war, sondern das gleiche Gewicht hatte. Er zog daraus den Schluss: Der Baum lebt vom Wasser! – Auch dies ist nach heutiger Kenntnis falsch! Der Biologe ahnte nicht, dass die Nahrung des Baumes aus der Luft kommt! Außerdem hatte er die benutzte Menge Wasser nicht beachtet, also einen bedeutenden Parameter übersehen. Was lernt man daraus? Unsere Interpretationen der Natur sind von unseren jeweiligen Konzepten abhängig.
Entscheidend ist: Zuerst der dialogische Prozess! Der Dialog ist ein einmaliges Mittel der personalen Begegnung. Ich erfahre dadurch, wie Kinder denken. Wenn der Dialog über eine Problemfrage gelingt, denken sich die Kinder selbst die für sie nachvollziehbaren und passenden Experimente aus. Man muss Geduld haben, z.B. mit Kindern viele Male gemeinsam sprechen, und dann erst ein Experiment dazu machen. Dieses Vorgehen passt auch zu den Ergebnissen der Lernprozessforschung.

Frage: Die sinnliche Erfahrung von Kindern erscheint mir essentiell für das Lernen. Wenn Kinder „Warum…?“ fragen, erwarten sie nicht unbedingt eine kausale Erklärung. Beispiel: „Warum strahlt die Sonne? Damit es mir warm wird.“ „Warum scheint der Mond? Damit ich nicht im Dunkeln stehe.“ Fragen dieser Art fragen nach dem Sinn oder Zweck, nicht nach einer wissenschaftlichen Erklärung. Oft liegen Welten zwischen den Kindern und den Erwachsenen. Viele Erklärungen der Erwachsenen kann das Kind nicht verstehen. Wie soll man z.B. die Frage beantworten: „Warum entsteht durch Reibung Wärme?“ Kann man das Kindern überhaupt erklären?

Ansari: Die wissenschaftliche Erklärung – etwa in der Form: Reibungsarbeit wird umgewandelt in Wärmeenergie – ist für Kinder nicht zugänglich. Man kann Kinder nur darauf hinweisen, dass hier Bewegung gebremst wird (also etwas verloren geht oder weniger wird) und dafür etwas warm wird (also etwas entsteht oder mehr wird). Den Energieerhaltungssatz können die Kinder nicht verstehen.

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