Wozu experimentieren, wozu die Reduktion der Wirklichkeit?
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Diskussion IV
Frage: Das Experiment im Kindergarten ist schillernd. Vor dem naturwissenschaftlichen Experimentieren kommt meines Erachtens das Explorieren, das Sammeln von Erfahrungen. Kinder müssen erst eine Erfahrungsgrundlage haben, bevor sie gezielte Experimente durchführen können.
Ansari: Kinder explorieren dauernd, jede Sekunde. Es gibt eigentlich keine Notwendigkeit, dass Erwachsene hier mit ihrem akademischen Wissenschaftsverständnis eingreifen. Und wenn sie eingreifen, ist immer die Frage, ob das Angebot nicht sehr willkürlich ist. Was leitet die Auswahl?
Kommentar: Bei Kindern kann man viel anregen und das bereitet Kindern Freude. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Kinder nachher sagen können „Das ist so, weil…“. Wenn man ihnen eine natürliche Lernumgebung anbietet, z.B. zu elektrostatischen Phänomenen (ohne das Wort Elektrostatik zu nennen), zu Papierflugzeugen usw., dann entdecken Kinder auch selbständig Zusammenhänge.
Ansari: Ob Kinder einen Versuch verstehen, hängt vom Versuch ab. Wenn wir Kindern Versuche anbieten, bei denen ein (kleiner) Blitz erzeugt wird, ist die Frage, ob die Frage „Warum blitzt es?“ überhaupt eine Frage der Kinder ist.
Meines Erachtens müssen Kinder Stellung nehmen können. Bei vielen Versuchen können die Kinder nur etwas zur Kenntnis nehmen. Man sollte die Vorstellungen der Kinder hervorlo-cken und diesen nachgehen!
Kommentar: Kinder sind kompetenter als wir meinen. Wir staunen bei unseren Forschungen immer wieder, was schon alles da ist. Daher ist eine wichtige Frage für mich: Was wissen Kinder schon? Wir müssen dafür sensibel werden!
Ansari: Genau dies ist auch mein Schwerpunkt. Das in Erfahrung zu bringen, lehrt uns die Entwicklungspsychologie: Was wissen die Kinder? Was ist wann möglich? Die Entwicklungspsychologie liefert eine erste Einschätzung:
Es kommt auf das (richtige) Komplexitätsniveau an! Ein Experiment im naturwissenschaftlichen Sinne (mit Hypothesenbildung) geht im Kindergarten nicht. Allenfalls Vorläufer.
Frage: Nehmen wir wahr, dass Kinder in einer Welt von Phänomenen leben? Darauf aufbauend sollten wir schauen, was nötig ist. Reduktion ist sinnvoll, um den Kindern zu helfen zu systematisieren. Dann sollten wird den Begriff des Experiments klären: Meinen wir wirklich damit Hypothesenprüfung?
Kommentar: Die Schwierigkeit liegt in der Verknüpfung von Naturwissenschaft und Erziehungswissenschaft. Pädagogische Fachkräfte müssen gute BeobachterInnen werden und den Teil der Naturwissenschaften können, der interessant und relevant ist. Dies stellt eine große Anforderung an die Erzieherinnen dar, u. a. das richtige Experiment auszuwählen. In kanadischen Kindergärten ist die Lage etwas besser: Dort gibt es einen Kanon von Themen, nicht von Experimenten. Experimente gibt es nur hin und wieder. Auf diese Weise wird der Zugang zu den Naturwissenschaften leichter. Es ist ein situationsorientierter Ansatz. Entsprechend gibt es Stundenpläne, die als Organisationshilfe sehr wichtig sind.
Ansari: Erzieherinnen wissen intuitiv, was 3- oder 6-jährige Kinder können. Sie gehen nach meiner Erfahrung äußerst altersangemessen mit den Kindern um. Aber: Sobald das Wort „Naturwissenschaften“ auftaucht, verlieren sie ihre Intuition und fangen an, die Kinder zu belehren. Sie gehen nicht mit den Kindern auf Entdeckung der Natur und verfolgen keine Fragen wie: Was weiß ich schon? Was interessiert mich? Was würde ich gerne machen? Wenn sie mit den Kindern über Wasser reden, dann sollten sie sich zurücklehnen und den Kindern zuhören und sie fragen.
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