Salman Ansari Menschen · Natur · Leben · Literatur · Musik

26Jul/13Off

Brauchen Kinder eine Kinder-Uni?

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Die Denkmuster der Kinder in „Puh der Bär“

Der Dialog ist ein Vorgang der personalen Begegnung. In einem Dialog möchten alle Beteiligten wissen, wie die jeweils anderen Dialogpartner über einen bestimmten Sachverhalt denken. Erst im dialogischen Prozess kommen unterschiedliche Vorstellungen, Erfahrungen, Überzeugen oder Bilder zum Ausdruck.

Ich denke, dass die Abwesenheit des Dialogs bei Lehrprozessen der Hauptgrund dafür ist, weshalb so viele begabte Kinder und Jugendliche in diversen Bildungseinrichtungen scheitern. Anders ausgedrückt: Wenn die Lehrenden versuchen, ihre eigenen Vorstellungen oder Schemata auf die Kinder zu übertragen, kann kein Lernen stattfinden. Etwas in ein vorhandenes Schema zu pressen muss scheitern, weil es nicht passt. Demzufolge ist es unabdingbar, erst die Schemata der Kinder und Jugendlichen über einen Sachverhalt zu erkunden.

Zum Glück kann man lernen, die Denkmuster der Kinder nachzuempfinden, wenn man sie ernst nimmt. Erst dann entdeckt man ihre Logik und ihre Weltbilder. Diesen Gesichtspunkt möchte ich mit einem Beispiel erläutern, das ich Alan Alexander Milnes Buch „Puh der Bär[7] entnommen habe. Ein Erwachsener kommt in diesem Buch nicht vor. Christopher Robin – die älteste Person und zugleich der Held des Buchs – ist gerade im Vorschulalter. Mit seinen Tierfreunden lebt er mitten im Wald. Jeder Tag ist von aufregenden Ereignissen und Abenteuern erfüllt. In diesem Mikrokosmos folgt die Bewältigung der Wirklichkeit ausschließlich dem Common Sense [8] und der Logik des Kindes. Mittels seiner Logik versucht Christopher Robin häufig, Begriffe und Definitionen, die der Welt der Erwachsenen zuzuordnen sind, zu begreifen und zu interpretieren.

Eines Tages beschließt er, mit seinen Freunden eine Expedition zur Entdeckung des Nordpols zu unternehmen. Alle Bewohner des Waldes – Ferkel, Kaninchen, IA, Eule, Känga und Ruh – werden zusammengetrommelt. Als es endlich losgeht, marschieren sie in einer langen Reihe, weil Christopher Robin meint, dies sei bei einer Expedition so üblich. Nachdem sie entlang eines Bächleins stromaufwärts gegangen sind, legen sie eine Pause ein. Plötzlich schreit Känga vor Schreck, denn Ruh ist ins Wasser gefallen. Während Eule meint, dass es in solchen Fällen wichtig sei, den Kopf über Wasser zu halten, versuchen die anderen, Ruh zu retten. Puh holt eine lange Stange und hält sie über den Teich. So kann Ruh endlich herausklettern. Als Christopher Robin sich davon überzeugt hat, dass Puh die Stange gefunden hat, erklärte er die Expedition für beendet, und Puh wird als Entdecker des Nordpols gefeiert. Die Stange wird in die Erde gesteckt, und Christopher Robin befestigt einen Zettel daran, auf dem steht: „NOTPOHL endtegt vohn Puh. Puh had in gefuhnden.“

Von nun an wissen alle Beteiligten, was unter einer Expedition und einer Entdeckung zu verstehen ist. Selbstverständlich wissen jetzt auch alle, wo sich der Nordpol befindet.

 

Der Witz dieser Episode beruht nicht allein auf der Doppeldeutigkeit des englischen Wortes „pole“, sondern auch auf der bezwingenden Logik des ganzen Geschehens. Alan Alexander Milne hatte die Gabe, sich in das Denken der Kinder hineinzuversetzen. Er hätte diese Geschichte nicht schreiben können, wenn sein Protagonist acht bis zwölf Jahre alt gewesen wäre. Dass Christopher Robin sein Konzept vom „Notpohl“ später auf Grund neuer Erfahrungen gänzlich revidieren wird, weiß Milne. Er nimmt die Kinder ernst. Ob die Verantwortlichen der Kinder-Unis das auch tun, muss bezweifelt werden.

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